Rede zur Preisverleihung,
Annette Hoffmann, Freiburg den 15.11.2019:
Von der Regionale 11, die ich zusammen mit meinem Kollegen Dietrich Roeschmann für das Kunsthaus L6 kuratiert habe, gibt es eine Arbeit von Uta Pütz, an die ich mich besonders lebhaft erinnere. Das Foto – schwarzweiß – muss in einem öffentlichen Park aufgenommen worden sein, im Vordergrund befindet sich eine Wasserfläche, hinten steigen Fontänen in die Höhe. Da sind zwei Frauen, die nicht mehr ganz jung sind. Die Kostüme und Hüte lassen vielleicht auf die 1950er/60er Jahre schließen. Sie befinden sich nicht eigentlich im Zentrum des Bildes, sie sind ins Foto hineingerückt worden. Vor allem jedoch ist da ein Verhau, den wir nur von hinten sehen. Links steht ein Keilrahmen, was das andere ist, lässt sich nur schwer ausmachen: ein Gebilde mit Dach, in dem weitere Bilder hängen müssen. Sicher sehr praktisch, doch wie es zusammengesetzt ist, lässt einen sofort denken: Slapstick. Man sieht dieses Etwas geradezu in einem Film mit Buster Keaton. Aber natürlich und da muss man jetzt ehrlich sein, sieht es auch irgendwie aus wie zeitgenössische Kunst. Die beiden Frauen schauen, sie haben nicht gemerkt, dass sie fotografiert werden.
Man kann viel hineinprojizieren in dieses Betrachten: einen sonntäglichen Zeitvertreib, die Sehnsucht nach Bildern nach dem Krieg.
Uta Pütz ist zufällig zu diesem Foto gekommen – so wir ihr oft etwas zufällt – sie hat es vergrößert, so dass das, was vage ist, noch undeutlicher wird. Wie bei anderen Arbeiten dieser Serie „Rückseiten“ hat man das Gefühl die eigentliche Vorderseite würde einem vorenthalten. Stattdessen werden die beiden Frauen zu Stellvertretern. Schließlich schaue auch ich gerade auf ein Bild. Da nicht zu sehen ist, was sie sehen, befasst man sich mit der Rückseite dieser Koje, die je länger man auf sie starrt, vertrackterweise einer Arbeit von Meuser, dessen Meisterschülerin Uta Pütz 2012 war, immer ähnlicher wird. „Rückseiten“ ist wie eine Schule des Kunstbetrachtens als Witz. Nur: eines Witzes, der so trocken ist, dass er sich nicht recht erzählen lässt, es gibt keinen kurzen Weg zur Pointe, lediglich viele Wege, die irgendwann alle versanden. Man steht bei Arbeiten von Uta Pütz nicht auf der sicheren Seite – aber immerhin: man schaut.
Die Werkgruppe „God“, die Uta Pütz erstmals ausstellt, ist auch so eine Rückseite. Sie zeigt Hunde, eingerollt, von hinten. Und liest man den Titel rückwärts, hat man das, was man sieht: dog. Dass man sie nicht von vorne sieht, kappt einen Erzählstrang, der lautet, der Hund ist der Gefährte des Menschen. Die Arbeiten entstanden 2015/16 bei einem Stipendienaufenthalt in Neu Delhi. Die Straßenhunde sind vielleicht nicht so autark wie Götter, leben aber unabhängig vom Menschen. Sie organisieren sich in Rudeln, in denen sie nachts ihre Rangkämpfe austragen – Sie hören sie in der Audioarbeit „Dogs and Bamboo“. Am Tag rollen sie sich einfach irgendwo zusammen und schlafen.
Uta Pütz nennt auch diese Hunde Fundstücke, so wie Materialien, Flohmarkfotos oder Aufnahmen aus dem Netz. Ein Fundstück ist für sie etwas, das zwar eine eigene Geschichte mitbringt, aber, „ich muss sie nicht kennen, um es interessant zu finden. Sie liegt in der Vergangenheit. Entscheidend ist der Zeitpunkt, an dem ich das Ding finde“. Als Betrachter nehmen wir als aufgeladen wahr, dass Informationen vorhanden sind, wir sie aber nicht decodieren können. Weil keine Spuren zurückführen.
Dass viele von Uta Pütz‘ Arbeiten während oder nach Reisen und Stipendienaufenthalten entstehen, ist kein Zufall. Es braucht eine Situation, die vom Alltag entfremdet und den Blick befreit. Weiß man nicht um den jeweiligen Kontext – Hunde etwa sind in Indien nicht eben wohlgelitten – dann kann dem Tier oder dem Objekt so etwas wie Respekt entgegengebracht werden. Wenn der Hund streunt oder ein Gegenstand nicht den üblichen Kriterien von Schönheit entspricht, da er abgegriffen ist, vielleicht schon etwas schäbig, ist der Blick der Künstlerin, beziehungsweise die Kamera, eine neutrale – vielleicht sogar gerechtere Instanz. Und mit ihr schauen auch wir als Betrachter anders auf die Hunde oder Objekte, denen wir andernfalls aus dem Weg gehen würden oder die wir aussortieren würden.
„God“ ist aber auch in anderer Hinsicht charakteristisch dafür, wie Uta Pütz arbeitet. „God“ ist ein Hybrid. Einerseits ein Foto, andererseits hat der Hundekörper etwas sehr Plastisches. Uta Pütz spricht über diese Fotos wie von etwas Bildhauerischem. Der Kontext ist das Material, das übersteht, das es nicht braucht, um das Eigentliche zu sehen. Und so stellt Uta Pütz, wie sie sagt, Skulpturen frei und nicht her. Was uns beim Betrachten häufig als minimalistisch erscheint, ist das Ergebnis des Wegnehmens. Während wir minimalistische Werke häufig als kühl und objektiv wahrnehmen, lässt sich bei Uta Pütz eine radikale Konzentration auf das Wesentliche beobachten.
Es findet in ihrem Werk ein reger Austausch zwischen Fotografie und Skulptur statt. Neben fast klassischen Skulpturen, eine davon sehen Sie in der Ausstellung, gibt es Assemblagen, die sie in einer Hohlkehle fotografiert hat und die es nur als Foto gibt. Sei es, dass die Konstellation zu fragil war, um über den Moment des Fotografierens hinaus bestehen zu können. - Da wäre er dann auch wieder der Slapstick. - Sei es, dass sich das Fotografierte als uninteressanter als die Aufnahme herausstellt. Und manchmal wiederum ist das Motiv ausgesprochen plastisch wie die Hunde aus „God“. Immer jedoch stellt sich eine Verbindung von Abstraktion und Sinnlichkeit her. Wer sich wie Uta Pütz auf die Begebenheiten vor Ort einlässt, kontrolliert sie nicht, doch sollte man nicht unterschätzen, wie vielfältig die Entscheidungen der Künstlerin sind, die am Ende zum jeweiligen Werk führen.
Ein bisschen lässt sie uns daran teilhaben. Was uns daran irritiert, ist der Informationsverlust. Wir folgen der Künstlerin auf einem Umweg. Was uns erfreut, ist, dass man auch über die Rückseite zur Vorderseite gelangen kann oder über der Rückseite die Vorderseite gar nicht mehr vermisst. Die Fundstücke von Uta Pütz aber, die muss man sich wohl als glückliche Fundstücke vorstellen.